Im dritten internationalen Projektwettbewerb der Holcim Foundation for Sustainable Construction gingen aus rund 50 Preisen gleich drei an Schweizer Beiträge: In Europa wurde ein Team der Zürcher Architekten Gramazio & Kohler für eine bahnbrechende Technologie der Betonverschalung ausgezeichnet, in Afrika/Mittlerer Osten der Zürcher Architekt Bob Gysin für ein Gebäude mit holistisch nachhaltigem Baukonzept in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie ein Team der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau für die Entwicklung erschwinglichen Baumaterials aus wiederverwerteten Reststoffen in Nigeria. 

Last updated: September 16, 2011 Zurich, ZH, Switzerland

Der Holcim Awards Wettbewerb wird alle drei Jahre durchgeführt und ist mit total USD 2 Millionen dotiert. Die Schweizer Holcim Foundation for Sustainable Construction organisiert ihren internationalen Wettbewerb für nachhaltiges Bauen in fünf Weltregionen. Mit den Holcim Awards fördert die Stiftung nachhaltige Antworten auf technische, ökologische, sozioökonomische und kulturelle Herausforderungen. Im aktuellen Wettbewerbszyklus wurden über 6000 Projekte aus 146 Ländern eingereicht. Die Preisverleihungen für die Regionen Afrika/Mittlerer Osten in Casablanca und für Europa in Mailand haben bereits stattgefunden.

In Casablanca gingen die Hauptpreise an ein Schulprojekt in Burkina Faso, die Sanierung einer Schule in Palästina und ein Trainingscenter für nachhaltiges Bauen in Marokko. In Mailand gewannen ein Plan zur Umgestaltung eines Spree-Arms in ein Berliner Flussbad, die Umnutzung einer stillgelegten Fabrik in Belgien und die Verwandlung einer Autobahnbrücke in einen Wohnkomplex in Italien. Pro Region wurden zudem drei „Next Generation“ sowie vier Anerkennungspreise verliehen; mit drei der Letzteren wurden unter anderen Projekte ausgezeichnet, an denen Autoren aus der Schweiz beteiligt waren. Ihre Projekte überzeugen durch technische Raffinesse und eine starke Innovationskraft.

Technologie für hoch-effiziente Betonverschalung aus Zürich
Fabio Gramazio und Matthias Kohler beschäftigen sich in ihrer Forschung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH Zürich) schwergewichtig mit neuen Strategien für eine zeitgemässe Architekturproduktion und studieren die Wechselwirkung zwischen architektonischem Entwurf und neuen digitalen Fabrikationstechniken. Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich vor Ort Freiform-Betonstrukturen als Unikate giessen lassen. Basis dafür sind digital produzierte Wachsverschalungen. Mithilfe von Robotern wird eine Gussform aus Sand hergestellt, um das Wachsnegativ zu giessen. Im Gegensatz zur einmaligen Verwendung von Polystyrenblöcken oder gebogenen Sperrholzschalen sparen die Preisträger mit dem wiederverwertbaren Wachs Energie und Material. Mit dem Verfahren können dank CAD komplizierte Formen hergestellt werden, die hinsichtlich Materialverbrauch, Energiebedarf und Komfort optimiert sind.

Die Holcim Awards Jury lobt das Projekt als «präzises, ökonomisches und ressourceneffizientes Verfahren für Freiformbeton-Strukturen». Der Technik wird grosses Potenzial für den breiten Einsatz in der Zukunft attestiert. – Hauptautoren des Projekts sind Matthias Kohler und Fabio Gramazio, Gramazio & Kohler, Architektur und Digitale Fabrikation, in Zürich. Am prämierten Projekt haben zudem Silvan Oesterle und Axel Vansteenkiste mitgearbeitet.

Umfassendes architektonisches Entwurfs- und Baukonzept für Masdar City
Die aussergewöhnliche Konzept-Stadt Masdar in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist ganz der Idee der Nachhaltigkeit verpflichtet. Das städtebauliche Ensemble wirkt identitätsstiftend, und dank einer intensiven Auseinandersetzung mit Klima und Kultur im arabischen Raum ist Masdar eine CO2-neutrale Siedlung. Um die hoch gesteckten Ziele an eine pionierhafte und vorbildliche Stadt zu erreichen, wurden im ausgezeichneten Projekt von Bob Gysin städtebauliche Volumetrie, architektonischer Entwurf und energetisches Konzept als Gesamtsystem mit Einsatz modernster Computersimulation entwickelt. Gebäudeformen wurden zum Beispiel so entworfen, dass vorherrschende Winde für eine optimale natürliche Ventilation genutzt werden können und die Sonne die Gebäude möglichst wenig aufheizt. Die zentralen Innenhöfe, ornamentalen Fassaden und die Bautechnik mit gestampfter Erde sind nicht nur kulturelle Referenzen, sondern dienen der Umsetzung des Energiekonzepts.

Die Jury der Holcim Awards betont, dass das umfassende Entwurfs- und Baukonzept von Grund auf nachhaltig sei – im Sinne jener architektonischen Qualität, die erst entstehe, wenn Gebäude in Form und Funktion auf ihr soziales und physisches Umfeld eingehen. Funktion, Struktur, Materialität und bauliche Gestalt dieses Projekts bedingen einander gegenseitig, um in extremem Klima höchsten Nutzerkomfort mit minimalem Ressourcen- und Kostenaufwand zu kombinieren. – Hauptautor dieses ausgezeichneten Projekts ist Bob Gysin, Bob Gysin Partner BGP Architekten, Zürich. Weitere Autoren sind Sebastian El Khouli, Carmen Held, Nadja Heitz und Rudolf Trachsel, ebenfalls von BGP Architekten; zudem Mark Barnard und Tim Hampson, Dyer, Grossbritannien; David Telford, Hurley Palmer Flatt, Grossbritannien; Markus Braach, Schweiz; Upul Jayasuriya, Milcris, Oman.

Erschwingliches Baumaterial aus wiederverwerteten landwirtschaftlichen Reststoffen in Nigeria
Die Gebäude in informellen Siedlungen werden zwar mit einfachsten Materialien erstellt; dennoch stellt der Kauf der Baustoffe jeweils eine grosse finanzielle Belastung für die Besitzer dar. Die Autoren dieses ausgezeichneten Projekts haben an der Berner Fachhochschule sowie an den Ahmadu Bello University und der University of Nigeria ein Verfahren entwickelt, um landwirtschaftliche Pflanzenabfälle zu günstigem Baumaterial zu veredeln. Beim Anbau von Reis, Mais, Erdnüssen und Maniok fallen grosse Mengen natürlicher Fasern an. Statt diese als Abfall zu verbrennen und damit die Atmosphäre zu belasten, können die Fasern zu Spanplatten gepresst werden. Als Verbundstoff der Platten dient Tannin, ein natürlicher und formaldehydarmer Klebstoff, mit dem die Berner Fachhochschule seit einiger Zeit arbeitet. Der Einsatz von Tannin im Zusammenhang mit natürlichen Mais- oder Reisfasern ist eine Neuheit. Die Pflanzenfaser-Platten wurden nach den EN-Standards für Baumaterial getestet.

Die Jury der Holcim Awards erkennt im Projekt einen erfolgversprechenden Ansatz, um mit einer einzigen technischen Innovation eine beträchtliche Zahl von Problemen in Entwicklungsländern anzugehen. Das neue Baumaterial schafft Verwendung für lokal anfallendes Material, kehrt die Last der Abfallentsorgung in zusätzliche Verdienstmöglichkeiten für Bauern um und reduziert die Abhängigkeit von importierten Baustoffen. Aus dieser Innovation kann eine eigene lokale Industrie entstehen. Zudem kann der Charakter des neuen Baumaterials auch die lokale Architektur beeinflussen. – Hauptautor des Projekts ist Charles Oluwole Job, Professor für Entwurfstheorie an der Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau. Als Mitautoren zeichnen Frédéric Pichelin und Andreas Rosenkranz von derselben Hochschule, Henry Tata Kimeng und Sani Mustapha von der Ahmadu Bello University in Nigeria sowie Chigbo Aghaegbusi Mgbemene und Okey Nduka von der University of Nigeria

Holcim Awards Wettbewerb in zwei Stufen
Die Holcim Awards Preisverleihungen für die Regionen Lateinamerika, Nordamerika und Asien Pazifik finden in den kommenden zwei Monaten statt. Alle Siegerprojekte haben die Chance, im kommenden Jahr einen globalen Holcim Innovationspreis zu gewinnen: Aus Anlass seines 100-Jahr-Jubiläums stiftet der Holcim Konzern 2012 diesen zusätzlichen Preis für ein bis drei Projekte, für den auch die drei Schweizer Projekte automatisch nominiert sind. Die Beurteilung der Eingaben im Holcim Awards Wettbewerb erfolgt durch unabhängige, aus renommierten Fachspezialisten aller Regionen der Welt zusammengesetzte Jurys, die ihre Aufgabe mit Unterstützung der Partner Universitäten der Holcim Foundation wahrnehmen; in Nordamerika ist dies das MIT in Cambridge, in Europa die ETH Zürich, in Afrika/Mittlerer Osten die EAC Casablanca, in Lateinamerika die UIA Mexico City und in Asien Pazifik die IIT Bombay in Mumbai.